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„Jesus Christus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“

Lukasevangelium, Kapitel 6,36

Liebe Leserin, lieber Leser,

nichts ist wohl schöner und beglückender, als in großer eigener Notlage zu erleben, dass Menschen einem uneigennützig beistehen, helfen, die Sorgen lindern, ja, einfach nur barmherzig sind. Diese Präsenz, manchmal ganz still und ohne Worte, ist dann ein wahrer Segen. Nicht selten sind es z. B. die Großmütter und Großväter, die sich mit friedvollem Gemüt, großem Langmut und liebevollem Herzen den eigenen Enkelkindern annehmen und Ihnen in Zeiten der Auseinandersetzung mit dem Leben zur Seite stehen.

Nichts geht mehr zu Herzen, als die Zuneigung und Hilfestellung anderer, vor allem dann, wenn es fremde Menschen sind, die sich einem zuwenden und einfach da sind, zur richtigen Zeit und im richtigen Moment. Ich habe vor vielen Jahren einen solchen wunderbaren Menschen kennenlernen dürfen. Ich nenne sie heute den Engel vom Niederdorf. So heißt der Altstadtkern von Zürich. Sie ist an die 70 Jahre alt, hat flinke blaue Augen, weißes langes Haar und einen wachen Verstand. Das Herz an der richtigen Stelle und immer eine offene Tür in ihrer großen Wohnung im mittelalterlichen Altstadtkern der Schweizer Metropole.

Alle kommen zu ihr: Reiche und Arme, Geflüchtete und die ohne Papiere, Müde und vom Leben zerstörte, Musikerinnen und Studenten, Wissenschaftlerinnen und Kinder aus der Nachbarschaft. Verwirrte und Spinner, Traumtänzer und Künstlerinnen …

Der Engel vom Niederdorf gibt was sie brauchen: Schlafraum, Wohnraum, Denkraum, Weinraum, Lachraum, Hoffnungsraum und eine schlichte Küche mit einem Tisch der durchbetet, durchlacht, durchweint und was auch immer ist, wo niemals der Tee ausgeht, Kuchen gebacken wird und Leben sich ereignet. Kurzum, sie schenkt und sie lebt für andere und ich nenne das Barmherzigkeit im Sinne Jesu.

Einmal kamen Rosen aus dem Norden zu ihr in die Küche und dann verdeckten sie die rote Postkarte, auf der dieses andere schöne und wesentliche Wort steht:

GELASSENHEIT.

Es ist kein Eigennutz, keine „Barmhirnigkeit“, wie meine Kollegin im Kompetenzzentrum Bildung, Schwester Gunhild, es erfrischend formulierte, die berechnet und abwägt und nach dem Vorteil schaut. Nein, da ist ein Mensch, den Sie, liebe Leserin, lieber Leser nicht persönlich kennen, der aber das in sich mit tiefer Lebenserfahrung als Sozialpädagogin vereint, was in uns allen steckt: Ein Herz, das zum Erbarmen fähig ist.

Eine Charaktereigenschaft die Gott uns zutraut, weil er sie uns geschenkt hat.
Barmherzigkeit zu leben, bedeutet vielleicht auch dem Menschen im Angesicht Gottes gerecht zu werden. Es ist eine gesunde ausbalancierte Einseitigkeit, die uns zu dem macht was wir sind, geliebte Menschen Gottes.

Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie bedarf es mehr denn je dieser besonderen Eigenschaft von uns, die Hoffnung wachsen lässt und Menschen aufrichtet.
Jesus ermuntert uns etwas zu tun, was Gott ebenfalls tut. Das ist mutig. Das ist erfrischend. Wir dürfen sein wie Gott, mit Herzblut dabei sein, wenn es um das gelingende Leben für andere und uns geht.
Die Rückbindung an Gottes Handeln ist dabei bis heute wichtig für uns Christinnen und Christen, wenn es darum geht so zu leben, wie Jesus es vorschlägt. Dadurch entgehen wir der Gefahr, uns selbst zum Zentrum zu machen.

Ich wünsche Ihnen, wo immer Sie leben und lieben, arbeiten und ruhen, die Fähigkeit zur Barmherzigkeit im Geiste Gottes, denn dadurch werden wir zu Menschen, denen die Liebe, die Freude und der Segen wie ein leuchtender Schatten nachfolgt, zur Freude aller.

Ich wünschen Ihnen gute Gedanken, gesegnete Wochen und Monate im neuen Jahr und die Gewissheit, dass Gott mit uns geht.

Es grüßt Sie herzlich, Pfarrer Johannes Lehnert

 

Und sollten Sie einmal in Zürich spazieren gehen und einer freudig strahlenden Frau mit weißem Haar, so um die 70 Jahre herum in der Altstadt begegnen, dann haben Sie vermutlich den Engel vom Niederdorf getroffen.